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Channel: AbidiText - konzeptionelle Werbetexte von Heike Schmidt-Abidi
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Ein Hoch auf den Ernst!

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Im tollsten Netzwerk der Welt, dem Texttreff, wird auch dieses Jahr wieder geblogwichtelt. Ich durfte mir von der wunderbaren Julia Dombrowski etwas wünschen – und habe sie gebeten, einen Beitrag zum Thema Humor zu schreiben. Hier ihr großartiger Text :)

 Gastbeitrag von Julia Dombrowski

Der Großmeister des deutschen Humors lässt seinen Onkel Hellmuth in „Pappa ante Portas“ folgende legendären Worte sagen: „Wenn es einen Anlass zum Scherzen gibt, schmunzele ich gern einmal“. Ach Hellmuth, möchte man ihm an Hedwigs Stelle zustimmen, wahre Fröhlichkeit kommt aus dem Herzen!

Es ist wahrlich kein Zufall, dass mir Loriot im Geist herumspukt, wenn Heike mich um meine Antwort auf „Was ist eigentlich lustig?“ bittet. Zumal Heike und ich beide heitere Personen sind: Heike hätte keinen schöneren Wunsch an mich richten können, den ich ihr noch lieber erfüllt hätte!

Laut einer Studie von Richard Wiseman von der britischen University of Hertfordshire finden Menschen Witze um 18.03 Uhr am lustigsten.

Es gibt nur ein Problem: Nichts ist unlustiger als theoretische Überlegungen übers Lustigsein. Meiner Aufgabe zuliebe war ich zunächst absolut motiviert, mich mit Texten zu beschäftigen, die vielversprechende Titel wie „Komik als Handwerk“ und „Komik und das Komische: Kriterien und Kategorien“ tragen. Doch ich nehme die Pointe (haha) vorweg: Ich hab sie nicht mal querlesen können, ohne einzuschlafen. Mit schlechtem Gewissen sah ich in den dortigen Quellenangaben auch noch Hinweise auf einen der Professoren meiner Alma mater, dem ich schon im Studium immer ausgewichen bin, wenn er im Vorlesungsverzeichnis mit Theorien über Humor drohte.

Um 1.30 Uhr ist es dagegen am unwahrscheinlichsten, dass man sein Gegenüber mit einem Witz zum Lachen bringt.

Lachen kann eben eine verdammt ernste Sache sein! Und verflucht harte Arbeit für die, die andere zum Lachen bringen. Über das Humor-Genie Loriot weiß man, dass er Perfektionist mit einem Hang zur Pedanterie war. Oder wie Ralf Husmann 2011 auf Spiegel Online schrieb:

Loriot konnte „aha“ sagen, präzise wie eine Lohnsteuertabelle. Die vielleicht kürzeste Pointe der Fernsehgeschichte. „Aha“. Eine Augenbraue hochziehen war bei ihm deutsche Wertarbeit. Millimetergenau. „Männer sind … und Frauen auch“, mehr muss man nicht wissen.“

Wahre Meister können Alltägliches derart feinsinnig überzeichnen, dass das Alltägliche absurd wird. Das kann wahrlich nicht jeder! Man braucht nur Sketch-Serien auf privaten Fernsehsendern zurate zu ziehen, um sich selbst nickend zuzustimmen: Nee, das kann echt nicht jeder.

Selbst das wahrscheinlichste Datum für den größten Erfolg eines Witzes konnte Wiseman belegen: Menschen lachen am ehesten gegen Mitte des Monats über einen Witz. Der perfekte Zeitpunkt, eine gut gewählte Pointe zu landen, ist deshalb der 15. eines Monats um 18.03 Uhr. Der schlechteste Zeitpunkt wäre am 1. oder 30./31. des Monats um 1.30 Uhr.

Ich tue mich unheimlich schwer damit zu lachen und dann zu erklären, was mich soeben zum Lachen gebracht hat. (Ich hätte dem Humor-Professor vielleicht nicht ganz so akkurat aus dem Weg gehen dürfen.) Nein, das Erklären fällt mir schwer: Neulich habe ich um Luft ringen und mir die Tränen aus den Augenwinkeln wischen müssen, als ich eine Fotoreihe über einen Hund gesehen hab, der Donuts, Sandwiches und Blumentöpfe auf dem Kopf balancieren kann. Ich fand das zum Brüllen komisch. Ein Freund fragte mich: „Was ist denn daran lustig? Ich sehe nur einen Hund, der Sachen auf dem Kopf hat!“ Je länger ich darüber nachdenke, was an einem Hund mit Donut auf dem Kopf lustig ist, desto langweiliger wird der Hund. Nach und nach wird es mir regelrecht peinlich, überhaupt gelacht zu haben. Schlimmer noch, ich entwickle Wut auf den Hund, dass er niedere Instinkte in mir ansprach und mich zu einem solch unkontrolliertem Verhalten wie einem Lachanfall genötigt hat … Ach, ihr Hunde-nicht-witzig-Finder, ihr seid solche Spielverderber! Nichts beendet einen Spaß gleichermaßen wirkungsvoll wie die Frage, was denn lustig an ihm sei – schließlich ist Lachen ein Affekt. Reflektiert man einen Lacher, ist er auch schon unwiederbringlich vorbei. Schon mal einen Witz erklärt und für die Mühe nur ein trostloses „Aha“ geerntet? Eben.

Wenn Tiere in einem Witz vorkommen, lachen Menschen am ehesten über Enten-Witze. Wenn man am 15. eines Monats um 18.03 Uhr einen Enten-Witz erzählt, kann eigentlich nichts schiefgehen!

Trotz allem möchte ich meine Aufgabe erfüllen, für Heike meine Antwort auszuformulieren, was ich lustig finde. Ich kann mich beispielsweise über die oft hervorragenden Werke auf der Satireseite „Der Postillon“ scheckig lachen. Das Rezept des Satirikers Stefan Sichermanns ist einfach und deshalb umso genialer: Er greift eine wohlbekannte Tatsache aus dem Alltag und verkehrt einen ihrer Aspekte in ihr Gegenteil. Dabei kommen fantastische Einfälle heraus: Es ist eine Tatsache, die eigentlich keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlockt, dass Parteien im Wahlkampf unerträgliche, allgemeingültige Phrasen von sich geben. Stefan Sichermann nahm die – völlig unveränderten und unangetasteten – Wahlkampfslogans und austauschbaren Motive des Bundestagswahlkampfs 2013 zum Anlass für die Schlagzeile: „Parteien fassungslos: Wahlplakate von Unbekannten durch inhaltsleere Nonsens-Poster ersetzt.“

Ein ausgiebiger Lachanfall löst ähnliche Empfindungen aus wie Kokain.

Anderes Beispiel, selber Satiriker: Mobbing ist ein ernstes Thema, keine Frage. Stefan Sichermann meldet: Dass Mobbing unbeliebt sei, lasse sich statistisch so überhaupt nicht belegen. 9 von 10 Personen an einem Arbeitsplatz, an dem gemobbt wird, fänden Mobbing nämlich super, es seien immer nur die Außenseiter, die drüber jammern. Macht Sichermann dabei einen Witz auf Kosten von Mobbing-Opfern? Nicht im Geringsten.

Der deutsche Fußballspieler Franco Foda brachte bei einem Länderspiel in Brasilien ein ganzes Stadion zum Lachen: Sein Name bedeutet auf Portugiesisch „kostenloser Geschlechtsverkehr“.

Postillon-Satiriker Stefan Sichermann muss aber gar nicht immer selbst dafür sorgen, dass gelacht wird: Besser als die Satiren sind manches Mal die Kommentare derjenigen, die die Satiren nicht als Satire verstehen – sie erschaffen damit wahre „Realsatiren“. Nach dem aufsehenerregenden Sprung von Felix Baumgartner aus der Stratosphäre schrieb der Postillon: „Linie übertreten: Rekordsprung aus 39 Kilometern für ungültig erklärt“. Ich bin großer Stefan-Sichermann-Fan, aber ich denke, das war nicht sein brillantester Text. Trotzdem taugt er als eines meiner Lieblings-Beispiele, wenn ich gefragt werde, was ich lustig finde. Denn saukomisch wird er durch aufgebrachte Leserinnen und Leser, die sich stinkwütend über diese „Nachricht“ gaben: „Es ist so lächerlich, wegen 7 Millimetern die Rekorde ungültig zu erklären. Denn sich aus 34 km Höhe fallen zu lassen, das traut sich nicht jeder.“ [Anmerkung: Rechtschreibung und Zeichensetzung des Kommentars habe ich sachte an realitätsnähere Orthografie angepasst. Ob es nun 39 oder 34 Kilometer waren, ist ja außerdem egal.] Wären solche Bemerkungen ausgedacht – sie wären nicht mal halb so komisch!

Beim Lachen entspannt sich die Blasenmuskulatur. Die Redensart „sich vor Lachen in die Hose pinkeln“ kommt also nicht von ungefähr.

Dinge, über die wir lachen, sind im Kern gar nicht witzig: Ist eine Nudel im Gesicht etwa lustig? Bei RTL wird sie es nie sein. Wenn Loriot sie aufgegriffen hat und seine Figur einen hochernsten Kampf gegen die Teigspeise ausfechten ließ, schenkte er einer ganzen Nation ein Meer voller Lachtränen. Würden die Parteien uns nicht immer wieder mit belanglosen Wahlkämpfen ernsthaft quälen, wäre Stefan Sichermanns Satire keine Satire. Und seit wann sind eigentlich Statistiken Quell des Lächelns? Erst seitdem jemand die Kunst erfand, nackte, blasse Zahlen in absurde Kontexte einzubetten. Nur Ernst macht Komik überhaupt möglich. Deshalb: Ein Hoch auf den Ernst, denn ich liebe das Lachen!

 


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